Wenn Trolle & Stalker auf protestantische Streitkultur treffen - Tom Noeding im Interview

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Viele Community Manager können ein Lied davon singen: Pöbelnde Trolle vergiften die Stimmung in der Community und stören bewusst die Interaktion. Und nun? Tom Noeding ist Community Manager bei evangelisch.de und wird beim kommenden Community& Marketing 2.0 SUMMIT in Hamburg von seiner Trollerfahrung berichten.

1) Bitte umreiße kurz deinen Vortrag beim Community & Marketing 2.0 SUMMIT.
Neben präventiven Maßnahmen zur Konfliktvermeidung und technischen Hilfsmitteln geht es vor allem auch um den Umgang mit brenzligen, ausufernden Konfliktsituationen. Wie kann ich es schaffen, nach einem kommunikativen “Flächenbrand" 1. die positive Grundatmosphäre in der Community wiederherzustellen 2. und künftig aufrechtzuerhalten?
2) Thema Trolls & Stalker: Kommt es bei einer "friedfertigen" Community wie evangelisch.de überhaupt zu Konflikten? Wie lassen sich diese möglichst im Vorfeld vermeiden?
Konflikte können, sofern sie nicht ausufern und mit dem nötigen gegenseitigen Respekt geführt werden, das “Salz in der Suppe” einer Community darstellen. Bei uns existiert der Begriff der protestantischen Streitkultur, d.h. dass evangelischer Glaube gleichermaßen auf das Zuhören und Mitdenken, auf Fragen und Einstimmen, auf Streit und Vertrauen angewiesen ist. Das Zusammenwirken - auch scheinbarer Gegensätze - kann für nicht-religiöse Communities ebenso eine wichtige Grundlage für die Etablierung einer konstruktiven Gesprächskultur sein.

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3) Sascha Lobo sagte auf der re:publica, dass Trolls eigentlich sogar gut und wichtig für das Klima innerhalb einer Community sind, da der "Störer" den inneren Zusammenhalt in der übrigen Gemeinschaft stärkt und diese dadurch enger zusammenwächst. Wie siehst du das?
Die klassische Definition des Trolls beschreibt einen Außenseiter, der aus purem Vergnügen Unruhe und Verwirrung stiftet. Da ihm die Gemeinschaft und deren Themen egal sind, fällt es den anderen Communitymitgliedern leicht, sich gegen den Troll zu verbünden. Das setzt natürlich voraus, dass der Troll auch als solcher entlarvt wird. Das ist nicht immer einfach, denn viele Trolle gehen sehr geschickt vor und agieren lange Zeit unbemerkt. Und genau darin liegt die eigentliche Tücke. Denn bis zur Enttarnung können Trolle bereits einen immensen Flurschaden anrichten, von dem sich eine Community oft erst nach längerer Zeit wieder erholt. Dafür gibt es leider kein Patentrezept.
4) Wenn es doch mal eskaliert: Hast du eine bestimmte Erfolgstaktik, mit der schnell wieder Ruhe einkehrt?
  1. Wenn zweifelsfrei klar ist , wer die Störer sind, müssen diese umgehend verwarnt und mit Nachdruck auf die Einhaltung der Netiquette hingewiesen werden. Und zwar stets persönlich. Das öffentliche Anprangern führt dagegen oft zum Gegenteil dessen, was man erreichen will. Dann solidarisiert sich die Community schnell mit dem zur Schau gestellten Mitglied und die Moderation erleidet einen Imageverlust. Und da Vertrauen die wichtigste Währung einer Community ist, lässt sich leicht erahnen, welche Folgen das haben kann.
  2. Wenn der Störer die Verwarnung ignoriert, bieten sich verschiedene Eskalationsstufen an: Oft hilft schon der zeitweise Entzug der Schreibrechte. Etwas drastischer ist der gleichzeitige Entzug der Leserechte. Beide Maßnahmen sollten zeitlich begrenzt sein, damit das betreffende Mitglied die Gelegenheit erhält, sich einsichtig zu zeigen und nach seiner Freischaltung wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Man könnte noch darüber diskutieren, ob der Entzug dieser Rechte für die anderen Mitglieder in Form spezieller Icons sichtbar gemacht wird. So etwas wird häufig zur Abschreckung eingesetzt. Ich persönlich halte es bei evangelisch.de nicht für angebracht, doch das hängt sicher auch von der Art der jeweiligen Community ab.
  3. Wenn alles Vorangegangene nicht gefruchtet hat - aber auch in akuten Fällen - kann das Mitglied dauerhaft aus der Community ausgeschlossen werden. Dabei gehen dann i.d.R. alle Profildaten und sonstigen Communityitems des Mitglieds dauerhaft verloren. Das ist die letzte und drastischste Eskalationsstufe.
  4. In Ausnahmefällen können auch juristische Schritte in Erwägung gezogen werden. Doch diesen Bereich würde ich gesondert behandeln.
Bei all den jetzt erwähnten Maßnahmen ist es immens wichtig, möglichst von Anfang an eine lückenlose Dokumentation der Vorgänge sicherzustellen. Das geht über Screenshots von Forenbeiträgen und PM’s bis hin zum Auswerten von Chatprotokollen, Logfiles sowie der Rückverfolgung der IP-Adressen. Auch sollte der diesbezügliche Mailverkehr in speziellen Ordnern gespeichert werden, damit sich alles gut nachvollziehen lässt.
5) Was bedeuten Trolls & Stalker für einen Community Manager - braucht man ein dickes Fell um den täglichen Spannungen und Anfeindungen entgegentreten zu können?
Ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz ist in jedem Job hilfreich. Für Community Manager kommt aber noch der Umstand hinzu, dass ihr Wohl und Wehe am Arbeitsplatz sehr stark vom Geschehen in der Community beeinflusst wird. Community Manager werden - ähnlich wie Sporttrainer - schnell zur Rechenschaft gezogen, wenn es in der Community nicht rund läuft. Obendrein müssen oft unterschiedliche Erwartungshaltungen bedient werden. Und das sind nicht etwa nur die Wünsche und Bedürfnisse der Mitglieder, sondern auch die Erwartungen des Managements und der Investoren oder anderer Stakeholder. Das kann auf Dauer ganz schön schlauchen und dafür sollte man mental gerüstet sein. Eine regelmäßige Supervision kann sich da hilfreich auswirken. Stalker haben heutzutage durch die verbreitete Nutzung von Social Media besonders leichtes Spiel und stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für Community Manager dar. Auch haben öffentliche Verleumdungen, Drohungen und üble Nachrede inzwischen Hochkonjunktur. Sie können nicht nur den guten Ruf eines Community Managers zerstören, sondern in extremen Ausnahmefällen sogar Leib und Leben gefährden. Ein Beispiel: Als ich 2008 die US-Kollegen meines damaligen Arbeitgebers MOLI in Florida besuchte, fiel mir auf, dass einige Moderatoren nach Feierabend von der Security nach Hause begleitet wurden. Ich war sehr überrascht und auf meine Nachfrage hin erklärten mir die Kollegen, dass sie regelmässig anonyme Drohanrufe mit eindeutigem Communitybezug erhielten - auch zu Hause - und die Firma deshalb Personenschutz angefordert hat. Für uns in Deutschland mag das abwegig klingen, doch solche Szenarien dürften wohl auch hier schon längst zum Alltag einzelner Community Manager gehören. Nur sprechen die Betroffenen darüber aus verständlichen Gründen nicht gerne. In den USA geht man mit dieser Thematik wesentlich offensiver um.
Vielen Dank für das Interview und die offenen Worte. Wie gehen andere Community Manager mit Trollen um? Kennen Sie ähnlich drastische Fälle von "Real-Life-Stalking" oder ist dies in Deutschland noch kein Thema? Ich freue mich auf Feedback und Meinungen!

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